Ein Blick sagt mehr als tausend Worte

Immer wieder fällt mir auf, Grimassenschneiden macht sympathisch. Ganz gleich ob inszenierte Wut, oder komplettes Unverständnis zum Ausdruck gebracht werden soll. Das Spiel der Muskeln in unseren Gesichtern lässt uns lebendig und ausdrucksstark wirken. Ich fühle mich in der Umgebung von Menschen, die die Wangen aufblasen, sollte ihnen etwas nicht in den Kram passen, sehr wohl. Ein Antlitz geformt um Zweifel zu dokumentieren, ist mir näher als eine zusammengestammelte Frage nach dem Warum. Nichts kann besser Sorge um den Geisteszustand des Gegenübers spiegeln, als die Inbetriebnahme der entsprechenden Gesichtspartien. Unglaublich unsere Fähigkeit das Gesehene genauestens zu interpretieren. Millimeterunterschiede in der Lage der Mundwinkel ändern die Information, die übertragen werden soll. Die Position der Augenbrauen erläutert die innere Gefühlslage. Das Tollste jedoch ist, alles ist miteinander kombinierbar. Meine Begeisterung kennt keine Grenzen. Andererseits kann ich meine Entäuschung darüber kaum verbergen, worauf wir uns zumeist freiwillig reduzieren. Ich mag es beispielsweise überhaupt nicht, aus Werbeplakaten heraus penetrant angelächelt zu werden und fühle mich schnell manipuliert. So wie mal eine Freundin meinte, sie könne keine Science Fiction Filme schauen, weil sie immer nur die Kulissen sieht. Oder der eine Freund, der beim Vorbeispazieren an Cafés auf die draußen ihren Cappuccino genießenden, überwiegend glücklich wirkenden Menschen wies und meinte, schau, da sitzen die, denen es angeblich gut geht. Eine wahrlich unbequeme Aussage. Vergessen konnte ich sie aber dennoch nicht, obwohl sie so viel Negatives atmet. Von wegen wir merken uns nur die positiven Dinge. Die Vermutung liegt nah, wir erinnern vor allem Außergewöhnliches. So wie den Kellner letztes Wochenende, der im Restaurant zwei Frauen am Nebentisch fragte, ob sie ihm mal kurz eine ihrer Marathonmedaillen leihen würden. Die Damen trugen sie voller Stolz auch einen Tag nach dem Wettbewerb. Dem Wunsch wurde amüsiert entsprochen. Die Bedienung fertigte umgehend unter dem freundlichen Gelächter der Gäste ein paar Selfies an. Wir waren Teil einer wundervollen Scharade geworden. Nicht nur bei solchen Gelegenheiten fällt mir auf, ich bevorzuge Fotos, die einen kurzen Einblick auf das wahre Ich des Porträtierten gewähren. Der Vorhang fällt, die Sicht wird kurz frei auf das Wesen des auf Zelluloid Gebannten. Wie gerade eben beim humorvollen Kellner und seinen Schummeldokumenten. Oder dem ikonischen Bild Albert Einsteins. Ein genialer Experimentalphysiker, der uns die Zunge rausstreckt. Das lob ich mir! (ts)