Das singende, klingende Bäumchen

Alle, die ein gewisses Mindestalter erreicht haben oder deren Eltern ihre Begeisterung mit ihren Kindern teilen wollten, kennen diesen wunderschön in Szene gesetzten DDR Märchenfilm. Das Bäumchen ohne das die schöne aber hartherzige Prinzessin nicht leben mag. Ich finde das nachvollziehbar und hätte auch gern eins. Allerdings hat der Baum im Märchen einen eingeschränkten Funktionsumfang. Das Bäumchen singt und klingt nur, wenn es wahre Liebe detektiert. Eine wirklich erstaunliche Fähigkeit. Der Baum muss ja irgendwie in der Lage sein, Gehirnstrommuster quasi telepathisch zu interpretieren. Transportiert in unsere Zeit, stelle ich mir ein Bäumchen vor, das Musik und Klänge erzeugt, die ich mittels Gedankenkraft erschaffe. Neurowissenschaftler würden dieses Feature vermutlich schnöde „Mind-Tree-Connector“ (MTC) nennen. Aber es wäre so viel mehr. Ich könnte, unsinnigen Gedanken nachhängend, durch die Wohnung streifen und wäre von sanften Synthesizerklängen begleitet. Läge ich abends im Bett, würde mich leiser Regen in den Schlaf wiegen. Vielleicht gäbe es ein Setting das meine Stimmung widerspiegelt. Morgens beim Frühstück herrschte Stille. In Zeiten innerer Aufgewühltheit wäre stürmische Meeresbrandung die Begrüßung für unerwünschten Besuch. Das es ein solches Bäumchen nicht gibt, betrübt mich sehr. Das Konzept dürfte durch ein singendes und duftendes Bäumchen erweiterbar sein. Ein Add-on! Der erdachte Geruch der durch ein kräftiges Sommergewitter gereinigten Luft. Beim Betreten des Gästezimmers ein Hauch von mit frischem Heu gefüllter Scheune. Der Drang sich mit Schwung ins Gästebett zu werfen wäre überwältigend. Doch vermutlich ginge es aus wie in besagtem Märchen. Ein sadistischer Berggeist erschiene und würde das Bäumchen stehlen. Die herbeigewünschten Polizisten würden abwinken. Das passiere andauernd. Sie haben doch sicher eine Singendes-Klingendes-Bäumchen Versicherung. Nein? Selbst schuld. Dann säße ich in meinem sang- und klanglosen Wohnzimmer, würde aus dem Fenster starren und meinem Bäumchen nachtrauern, so wie es manche mit verflossenen Liebschaften hin und wieder tun. Eine gute Gelegenheit fürs Originalbäumchen aus einer Kiste zu springen und ob der erkannten wahren Liebe in Aktion zu treten. (ts)