Die Samstagstramorange

Sehenden Auges stürzen wir uns ins Unglück, indem wir Wörter wie Samstag, Tram und Orange gedankenlos verwenden. Empfohlen von der imaginären Kommission zur Rettung der vom Aussterben bedrohten Begriffe, in deren Vorstand ich gestern, bei einer sehr kurzfristig anberaumten Sondersitzung, gewählt worden bin, sind stattdessen Sonnabend, Straßenbahn und die elegante Apfelsine. Wohlklingend schmeicheln sie empfindsamen Seelen und zaubern ein Lächeln in mein Sprachzentrum. Freude erfüllt den restlichen Tag, werde ich mit korrektem Gebrauch auf den aktuellen Wochentag hingewiesen. Wie grausam hingegen erscheint ein falsches Nutzverhalten. Gleich Fingernägeln die einer Tafel dissonante Klänge entlocken, kommt das Wort, ich zögere es nochmals zu tippen, Tram daher. Gott bewahre uns vor Menschen, die dieser Buchstabenansammlung die Treue halten. Warum schöne Wörter durch hässliche ersetzen? Andersrum wird ein Schuh draus! Ich unterstütze die unverständlicherweise ausbleibende Petition, den Hindenburgdamm nach Pampelmusendamm umzubenennen. Warum zur Hölle schlug bisher niemand ein Protestcamp vor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche auf und begrüßte Passanten mit Schmollmund und der Forderung die Namensgebung zu überprüfen? Ich schlage Montgolfièrekapelle vor! Oder wir reißen das Gotteshaus gleich ganz ab und eröffnen ein hochmodernes Stadtbad, das Langstreckenschwimmern vorbehalten ist. Auf dem Beckenboden die Umrisse der ursprünglichen Bebauung. Vielleicht wäre sogar ein Kaiser-Wilhelm-Gedächtnisbad denkbar. Das klänge albern genug um dem Vorwurf der unnötigen Monarchenbeweihräucherung zu entgehen. Die Mohrenstraße können wir gern in Radieschenweg umbenennen – eine kluge Wahl, denn es ist nicht anzunehmen, dass die Familie der Rettiche in der laufenden Epoche einer Bevölkerungsgruppe zu nahe treten wird. Aber bitte nicht erneut stürmische See durch zweifelhafte Personenwahl begünstigen. Der Drang Objekte mit Namen von vermeintlich historischen Vertretern unserer Spezies zu schmücken, ist zumindest fragwürdig. Es gibt einhundert Milliarden Sterne in unserer Galaxie. Die wären als Straßenbezeichnungen durchaus geeignet. Wer möchte nicht in der SIMP-0136+0933-Allee 42 wohnen? Nur erdverbundene und kurzsichtige Kleingeister mit eingeschränktem Weitblick schütteln da mit dem Kopf. Ich möchte übrigens ungern als sprachlich rückwärtsgewandt gelten, auch wenn Veränderungen zunehmend auf meine Ablehnung stoßen. Die Welt kennt mich zum Beispiel als großen Freund des Denglischen. Viele englische Begriffe erweitern mein Vokabular ohne alteingessenes Wortgut zu verdrängen. Statt: „Wann kommst Du an?“ „e.t.a.?“ zu fragen, kleidet jede Informationsanforderung in ein hübsches Gewand. Die Definition des Ausdrucks „Begriff“ ist nebenbei gesagt hervorragend. Es handelt sich nämlich offenbar um eine abstrakte Denkeinheit als kognitiv repräsentierter Wirklichkeitsausschnitt. Dem ist nichts hinzuzufügen.(ts)