Sonnabendmorgen

Welch logistisches Kunststück ich doch jedesmal beim Einkaufen vollbringe, wird mir erst klar, wenn ich versuche, die zugehörigen Schritte möglichst bewußt zu tun. Die Vorbereitung. Nehme ich die leeren Flaschen mit? Nehme ich den Müll gleich mit runter? Schreibe ich die Dinge auf, die ich auf keinen Fall vergessen will? Oder verlasse ich mich auf mein Gedächtnis? Nachdem diese Fragen innerlich Beantwortung fanden, geht es ans Anziehen. Da ich tatsächlich immer die gleichen Sachen anziehe, bleiben mir in diesem Punkt quälende Momente vor den Kleiderschränken erspart. Er zieht immer die gleichen Sachen an? Die Leserin hebt die Augenbrauen. Der Autor: Mein Kleiderportfolio ist sehr überschaubar. Also, Bluetooth-Kopfhörer gekoppelt, noch ein kurzer Ruf in die Wohnung, der wie immer ungehört verhallt – „Ich geh Einkaufen!“ – und los geht’s. In meiner Imagination tanze ich dann den Gehweg entlang. Die von anderen Menschen wahrgenommene Realität sieht mich allerdings ganz normal gehen wie alle anderen. Nur ab und zu ein schiefer Mund oder indisches Kopfwackeln. Mehr erträgt die Umwelt nicht. Erinnerungsausflug. Ich bin mal vor ein paar Jahren mit der S-Bahn gefahren und eine junge Frau tanzte ziemlich wild unter Kopfhörern durch die Gänge. Ein sehr herausfordernder Anblick für die Anwesenden. Sie ging dann auch noch dazu über, Reisenden anzubieten mal ihre Kopfhörer aufzusetzen. Mit geringem Erfolg. Zurück zu meinem Sonnabendmorgen. Der Weg zum Einkauf führt mich über zwei immerrote Ampeln, die ich zumeist ignoriere – ich berichtete – und vorbei an den beiden Neubauten aus den Siebzigern, die ich so gern fotografiere. Lohnt heute ein Foto? Meist drücke ich einmal ab. Es ist ja nicht mehr so wie für die Erbauer der Häuser damals. Mühsam den Film ins Fotogeschäft bringen, 2 Tage warten, Fotos abholen und zu Hause feststellen, dass es die Urlaubsfotos einer fremden Familie sind. Angekommen im Markt, schnappe ich mir einen Einkaufswagen. Auch so eine merkwürdige Sache. In der DDR gab es keine Einkaufswagen. Ein Einkaufskorb musste genügen. Die Unart mit Autos einkaufen zu fahren und mit Bergen von Lebensmitteln im Einkaufswagen zum Parkplatz zu rasseln, gab es nicht. Ich streune also mit meinem Wagen durchs Revier, rangiere elegant vorbei an unglücklich geparkten Lebensmittelloren anderer Einkaufsteilnehmer und versuche mich daran zu erinnern, was ich noch wollte. Irgendwas war es, das fehlte. Zu Hause wird es mir dann einfallen. Auf zur Kasse und ins Biotop Ungeduld. Wo ist die kürzeste Schlange? Wie voll sind die Einkaufswagen der vor mir Wartenden. Bewegt sich gar ein Mitarbeiter auf eine noch ungeöffnete Kasse zu? Ich persönlich verfolge eine andere Strategie. Ich stelle mich immer an die längste Schlange an. Das stößt häufig auf Unverständnis. So wie heute. Eine Dame mit ziemlich vollem Wagen, wies mich auf eine Kasse hin, deren Kapitänin zusätzlich freundlich winkte. Offenbar war es meiner Vorderfrau peinlich mich warten lassen zu müssen. Ich bedankte mich und lauschte weiter überraschenden Klangstrukturen. Vorschlag. Wie wäre es, vor jedem Geschäft einen Meditationsguru zu platzieren, der die Menschen einlädt, sich vor dem Einkauf zehn Minuten zu ihm zu setzen und ein bisschen zu träumen? Vermutlich hat aber niemand dafür Zeit. Es gilt der Grundsatz, niemand hat jemals für Irgendetwas Zeit. Der Weg zurück ist ein Martyrium light. Eine schwere Tasche zieht mich einseitig zu Boden. Viel zu oft muss ich die Trageseite wechseln. Keine Kraft für rote Ampeln und Fotos von Neubauten aus den Siebzigern. Erschöpft komme ich zu Hause an. Noch schnell auspacken und alles einräumen. Ab aufs Sofa, das Erlebte mit ausgeleierten Armen aufschreiben!

Dem Sog zu widerstehen auf diese, für meinen Geschmack, unmissverständliche Aufforderung einzugehen, obwohl die Bedienung bereits eingetroffen ist, verlangt von Menschen mit meiner Persönlichkeitsstruktur Unmenschliches. (ts)

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