Seegras und Minze

Es ist sehr anstrengend aus dem Fenster zu schauen. Dadurch wird klar, die Welt existiert tatsächlich. Nicht immer eine willkommene Information. Es gibt ja diese Träume, bei denen ich froh bin, aus ihnen zu erwachen. Man hat keine Arme und treibt im Ozean. Dann in die reale Welt hinüberzugleiten, ist sehr wohltuend. Noch ein wenig erschrocken greift man nach seiner Hand. Nun sind da aber auch Träume, in denen mich das pure Glück durchströmt. Als Superheld durchquere ich die Kontinente. Doch ach, man schlägt die Augen auf und denkt, verdammt, ich bin zurück im Jammertal. Jammertal – ein Begriff, wohl durchdacht und wunderschön bildhaft. Jammern ist allerdings nicht unbedingt die Spitze vom Berg des Haderns. Nein, die Windjammer gibt einen guten Hinweis darauf, worum es geht. Man möchte einfach nur weg. Wie kam ich jetzt auf diese Gedankenwiese? Ach ja, durchs gelangweilte am Fenster stehen. Nun, es gibt keine wirksame Medizin gegen schlechte Laune. Apotheker werden sicher widersprechen. Mir reicht es jedoch meist ein bisschen länger auf die Straße hinauszublicken. Irgendwann sehe ich eine gestresste Mutter mit unwilligem Kind im Fahrradsitz, oder eine wütende Autofahrerin die hinter einem Riesen in orange Zeit zu Grabe trägt. Das bringt mich dann auf andere Gedanken und erfrischt mitunter Erinnerungen die vorher lau im Tümpel lagen. Ich sehe mich wieder auf der Hochzeitsfeier einer Familienangehörigen um vier Ecken. Arglos stehe ich mit meinem Glas Champagner im Saal herum, als plötzlich zwei Hände auf meinen Schultern liegen, die mich sanft voranschieben. Ich bin der Kopf einer Polonaise und schlängele mich mit der Hochtzeitsgesellschaft, einem chinesischen Drachen gleich, durchs Etablissement. Was hätte ich auch anderes tun können? Eine ausweglose Situation. Befreiungsaktion per Judowurf? Nein, unmöglich. Oder damals am Marktstand auf der Insel im Norden. Badesalztüten wurden mir ohne Vorwarnung unter die Nase gehalten. Hier, schnuppern Sie mal, eine göttliche Melange aus Seegras und Minze. Meine Handlungsoptionen für die folgenden zehn Sekunden waren sehr eingeschränkt. Also nickte ich nur freundlich. Hier noch eine schöne Meinung, mit der mich unlängst meine älteste Tochter überraschte. Wir verließen gemeinsam das Haus bei Regen, weshalb ich die Frage an sie richtete, ob sie denn Herrin eines Regenschirms sei. Ihre Antwort, nein, die funktionierten doch sowieso nicht. Ich pflichtete ihr unverzüglich bei und beglückwünschte sie zur stimmungsvollen Ansicht, teile ich sie doch weitestgehend. Lebhaft tauschten wir unsere Bedenken in puncto Umbrellas aus. Bei Wind flögen sie hinfort, bei Nässe von unten und den Seiten böten sie nur geringes Schutzniveau. Ganz zu Schweigen vom ständigen Besuch in Fundbüros, die sie erzwängen. Das auch Erbschaft solcher Aversionen möglich ist, macht mich hoffnungsvoll was die Geschicke der Menschheit angeht. Perplex bemerke ich, dass ich immernoch am Fenster stehe. Jetzt mit einem Lächeln. Ohne erkennbaren Impuls von außen oder innen hat sich meine Stimmung gewandelt. Einfach so. Mit dieser Erkenntnis lässt sich leider kein komplettes Ratgeberbuch bestreiten. Ein Blick in den Himmel beschert mir den Anblick aufgeregter Krähen, immer sind sie auf der Suche nach etwas Brauchbarem. Selbiges erledige ich am Schreibtisch. Ich blinzele an die Decke und schreibe Ideenfetzen in eine Textdatei, die als Sammelsurium der Einfälle fungiert. Entstanden sind sie im Gespräch mit Freunden, durch zufällige Beobachtungen und wendige Fragestellungen. Biotope, die besonderen Schutz genießen sollten. (ts)