Aus der Reihe tanzen

Ich bewundere Menschen, die absichtlich auffallen. Die dem, nicht nur farblich gemeinten, Einheitsgrau erfolgreich entflohen sind. Auffallen ohne andere Menschen zu belästigen ist eine große Kunst. Sei es mit Kleidung, mit interessanten Ansichten oder auch einfach nur mit einem bunten, klapprigen Fahrrad. Bewege ich mich durchs Revier wird von allen Seiten nichts unversucht gelassen, mich in eine tiefe Krise zu stürzen. Hier die Träger von schwarzen Winterplusterjacken, dort die Kutschenlenker in ihren mausgrauen Individualtransportern. Verzweifelt halte ich Ausschau nach unterhaltsamen Wahlplakaten. Doch ich werde enttäuscht. Gehe ich im Sommer mit einem pinken T-Shirt durchs Gelände, werde ich angestarrt, als wäre ich der Klappsmühle entlaufen. Ältere Herren möchten doch bitte gediegen durch die Straßen schreiten. Die Dynamik, die die heutige Gesellschaft aushält, ist verschwindend gering. Ausschläge nach oben und unten sind unerwünscht. Weder in der Berufswelt noch beim Behördengang kann man mit flippigen Hüten punkten. Das finde ich nicht schön und ausgesprochen langweilig. Alles ist festgezurrt und nicht mehr diskutabel. Ein wirklich prima Beispiel sind meine Hosenträger. Wenn diese im Sommer sichtbar werden, weil wärmende Kleidung im Schrank verbleibt, bin ich Stadtgespräch. Da ich auch noch dazu neige, besonders farbenfrohe Beinkleidhalter zu erstehen, werde ich für ein bisschen irre gehalten. Das versteh‘ wer will. Dazu fällt mir eine kleine Geschichte ein, die für den Leser unbefriedigend endet. Während meiner Zeit als Schüler einer Berufsschule trug ich auch schon Hosenträger. Im Fach Statik gab es eine Aufgabe die mit Stahlträgern zu tun hatte. Meine Neigung zu Blödeleien war damals schon recht ausgeprägt und so fragte ich den Lehrer wie man denn die Belastungsfähigkeit von Hosenträgern berechne. Nicht besonders lustig. Der Lehrer zitierte mich raus auf den Gang und sagte etwas zu mir, was mich vermutlich geprägt hat wie wenig zuvor. Natürlich gebe ich den Inhalt der Unterhaltung hier nicht preis! Wo denkt ihr hin! Das überlasse ich eurer Fantasie. Man soll seine Mitmenschen bekanntermaßen auch nicht unterfordern. Gesagt sei: Ich hatte den Lehrer schon vorher sehr gemocht. Ein älterer freundlicher Herr mit Holzbein und dünnen, schwarzen Hosenträgern! Sicher ist er nun schon lange, lange tot. (ts)