Verhalten

Ich bin neulich mit einer Caprisonne beschmissen worden.
Ok, zuerst habe ich geschmissen.
Aber davor ist sie auch schon mal geschmissen worden, und zwar an einer roten Ampel aus einem teuren Auto raus.
Und ich habe sie eben aufgehoben und wieder reingeschmissen, als ich mit dem Rad neben dem Auto ankam. Begleitet von einem in höflichem Ton vorgetragenen Entschuldigung, Sie haben da etwas verloren.“
Erst in dem Moment sah ich, dass der Schmeißer ein mit diversen Fastfoodutensilien ausgestatteter ca. 10jähriger Junge war, der auf dem Beifahrersitz neben einem erwachsenen Mann saß.
Beide antworteten mir umgehend. Laut, nicht besonders höflich und mit nicht wirklich jugendfreien Worten. Ausgesucht teure Autos sind ja nun mal leider kein Garant für ausgesuchtes Sprachverhalten. Der Junge schmiss die Caprisonne auch gleich wieder raus und versuchte dabei, mich zu treffen. Er konnte allerdings nicht so gut schmeißen, weil er ja das ganze Fastfood noch so festhalten musste, damit es die teuren Sitze nicht versaut. Ich habe nicht gesehen, ob ihm das gelungen ist und malte mir aus, wie mein Einwurf über diesen Umweg für Ärger gesorgt haben könnte.
Und naja, mit Höflichkeit hatte ich ehrlicherweise auch nicht gerechnet, schließlich war meine Höflichkeit eine Provokation und das ist keine erfolgversprechende Idee, wenn man ein Gegenüber mit dezenter Kritik zu einer Verhaltensänderung anregen möchte.
Muss ich eigentlich verraten, was ich vor Urzeiten studiert habe? (aw)

Nachtrag:
Eine Provokation oder auch nur eine schlagfertige Antwort ist ebenfalls nicht geeignet, um eine kritische Situation deeskalierend zu drehen. Das nämlich habe ich im Deeskalationstraining gelernt. „Wer deeskalieren will, muss sich das Wort Gerechtigkeit abschminken,“ sagte die Kripobeamtin.
Ich bin mir dementsprechend nicht sicher, ob ich zum Deeskalieren wirklich geeignet bin. Zumindest nicht, wenn ich im Zentrum stehe. Ich gehe aus solchen Situationen wie der eben oder auch aus Situationen, in denen ich beleidigt werde, am liebsten so raus, dass der Beleidiger das Scheißgefühl zurückgepfeffert bekommt, dass er mir aufgedrückt hat. Ich finde es zutiefst ungerecht und will das nicht haben, das Scheißgefühl.
Meine Befindlichkeit ist aber nicht zielführend im Sinne von Deeskalation, das habe ich ja gelernt. Und eine Provokation oder auch nur eine Antwort ist auch nicht gut, weil ein Aggressor es auf sowas anlegt. Puh!
Eine Situation, in der es mir gelungen ist – ich stand allerdings eben auch nicht im Zentrum – war am Bahnhof. Ich war mit der Bahn unterwegs gewesen, der Zug hatte massive Verspätung, wir kamen erst mitten in der Nacht am Berliner Hauptbahnhof an, alle gingen zum Schalter, um die zugesagten Taxigutscheine abzuholen. Fast alle waren still, nur ein dicklicher Mann, teuer gekleidet, war dabei sich laut schimpfend an der Schlange vorbeizudrängeln und auf den Schalterbeamten loszugehen. Ich machte einen Schritt aus der Schlange und stelle mich ihm in den Weg, guckte ernst und sagte so was wie: „Sie sind hier übrigens nicht alleine viel später angekommen. Und der Schaltermann kann nichts dafür. Regen Sie sich mal ab. Wir möchten alle nach Hause. Wenn Sie hier rumprollen, wird es für alle noch viel blöder und dauert noch länger.“
Mein Blutdruck ging hoch und dachte mir schon, ohoh, muss ich mich wehren, wenn der mich tritt oder mir eine reinhaut, so aggro wie der drauf war. Musst ich dann nicht, er hat angehalten und noch gemotzt, sich dann aber angestellt. Hinten. Geht doch, ich kann es also schaffen. Wieder was gelernt.

Nachtrag 2:
Das: „Entschuldigung, Sie haben da etwas verloren.“ ist natürlich nicht auf meinem Mist gewachsen, es stammt aus dem Kinderfernsehen der 1970er Jahre – ich dachte Sesamstraße, meine Schwester hat ein besseres Gedächtnis und sagte: „Nein, Rappelkiste!“ Da haben nämlich Kinder einem Mann genau so seinen Müll zurückgegeben. Toll. Da sag noch mal einer, dass Fernsehen dumm macht. (aw)