Reisen

Die letzte sinnvolle Reise, die unternommen wurde, war sicherlich die von Heinrich Heine durch den Harz. Ohne Reisebüro, ohne Reisebügeleisen, ohne Rei in der Tube. Ich sehe das so. Ziele, die ich auch theoretisch nicht mit Pferd und Wagen erreichen kann, sind für mich gestorben. Was soll ich beim Guru in Indien? Was könnte mich nach Nordamerika zu den Cowboys treiben? Mir fällt partout nichts ein. Und warum wird es belohnt, wenn man besonders viel reist? Müsste es nicht andersherum sein? Trete ich das erste Mal in meinem Leben an einen Lufthansa-Schalter, sollte ich mit Konfettiregen und Freiflug begrüßt werden. Ab dem dritten Mal wird’s teuer. Der Vielflieger zahlt sich dumm und dusselig. Von wegen Flugmeilen sammeln. Pustekuchen. Rabatt gibt’s nur für einen Flug zum Orakel von Delphi. Ein lohnenswertes Ziel für Menschen auf der Suche nach Hinweisen zur Lebensgestaltung. Nur dort ist wertvoller Rat zu finden. Nämlich rätselhafter. Anderer ist auch gar nicht zu gebrauchen. Doch aufgepasst, das Orakel hat die drei Wintermonate geschlossen! So war es jedenfalls damals bei den alten Griechen. Wie schön! Zusätzlich dürfen vom gewöhnlichen Volk nur Fragen gestellt werden, die binär, also mit Ja oder Nein beantwortet werden können. Das lob ich mir. Vorbei wären die Zeiten in denen man sich in Ratgeberbüchern geratenen Rat holen musste. Hat man etwas mehr Geld in der Tasche, können Fragen gestellt werden, die eine Antwort in Textform erfordern. Das Resultat fällt meist unverständlich und düster aus. Vielleicht nutze ich die Gelegenheit und etabliere das Orakel von Prenzlauer Berg. Eine Weissagung zu ergattern wäre ähnlich schwer wie in Delphi. Zuerst muss eine Ziege mit kaltem Wasser übergossen werden. Zuckt sie, wäre das ein schlechtes Omen und der Ratsuchende könnte es erst nach einem Monat erneut versuchen. Bleibt sie ruhig, müsste sich jemand finden, der sie altmodisch auf einem Altar opfert. Bewerbungen bitte an Shiffre #437654. Nur ernstgemeinte Zuschriften! Meine Wenigkeit schritte nach einem langen, göttlich reinigenden Bad in Eselmilch, zur Orakeltat. Ich mach mich mal auf den Weg zum Gewerbeamt. Sollte es mit der Geschäftsidee nicht klappen, fahre ich gern mit Dir nach Drei Annen Hohne und leg mich dort ins Moos, schaue in den Himmel und lausche dem Klopfen der Buntspechte. Sehenswürdigkeiten interessieren mich nicht. Wer sagt denn, dass die des Sehens würdig sind? Doch nur Reiseführer und flüchtige Bekannte! Sehenswürdigkeiten? Pah! Bleibt mir gestohlen mit euren Schlössern und Burgen. Erspart mir den Besuch von langweiligen Kirchen und liebevoll renovierten Altstädten. Da fehlt mir der eine Aspekt, den ich am Reisen gut heiße. Das Reisen selbst. Das Unterwegssein. Mit dem ICE durchs Land rauschen. Das ist prima. Weder hier noch dort zu sein. Da wo wir uns alle, geben wir es zu, sowieso gewöhnlich aufzuhalten pflegen. (ts)

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Unterwegs