Der Eine sagt so, der Andere so

Wie wichtig mir manche Dinge sind und wie gering sie unter Umständen von anderen geschätzt werden, wird mir ab und zu schmerzhaft vor Augen geführt. Eine der ersten Freundinnen sagte mal ein paar Dekaden später, unsere Beziehung hätte ihr nicht viel bedeutet. Für mich war es vielleicht sogar die erste große Liebe. Selbst jetzt, nach dreißig Jahren, denke ich, oh Gott. Wie traurig so eine unerwiderte Leidenschaft. Doch es müssen gar nicht immer die mächtigen Themen sein. Als Inhaber vieler Sprachvorlagen war ich unlängst überrascht zu erfahren, dass die Schöpferin nicht mal ihre Kreation erinnerte, von der ich seit Jahren zehre. Wie oft habe ich schon zu passenden und unpassenden Gelegenheiten eingeworfen: „Ich bin so schnell, für mich ist gestern schon neulich!“ Und so zieht es sich durch viele Sachgebiete. Große Bedeutung für mich, keine Bedeutung für das Pärchen da drüben an der Ampel. Enorme Wichtigkeit für andere, für mich nur am Rande relevant. Nehmen wir den Fetisch mancher Menschen, darauf zu bestehen mit dem Essen zu warten, bis alle Beteiligten Platz genommen haben. Gegen diese Regel habe ich lange unwissentlich verstoßen, weil mir in dem Moment nicht klar war, dass ich an einem solchen Tisch sitze und musste daraufhin Protestnoten studieren. Heute ignoriere ich dieses ungeliebte Gesetz geflissentlich in liebevoll böswilliger Absicht und werde dafür mit nachsichtig vernichtenden Blicken bedacht. Der lernt es sowieso nicht mehr, buchstabieren die Aufgebrachten in Gedanken. Ähnlich verhält es sich mit Geschenken. Ich schenke nicht gern und werde ungern beschenkt. Es gibt wie immer Ausnahmen, doch meine grundsätzliche Gefühlslage spiegelt der vorangegangene Satz königlich. Da freu‘ ich mich schon eher über jemanden, der sich darüber freut beschenkt worden zu sein, oder Präsente überreicht zu haben. Die Liste der Schlagzeilen, die viele Menschen interessieren zu scheinen, mich aber nicht hinter dem Ofen hervorlocken, ist recht lang. Umgekehrt ist es traurigerweise aber nicht weniger. Erst gestern wieder am Erdbeerstand regte sich der Erdbeerstandverkäufer über einen Falschparker auf und stellte dessen Fähigkeit zur richtigen Verkehrsschildinterpretation in Frage. Ich antwortete: „Da haben Sie schon recht guter Mann. Anderes Thema. Was halten Sie vom neuen Buch meines Lieblingsautors? Denken Sie auch darüber nach ein zweites zu bestellen, um es einer nahestehenden Person zum Geburtstag zu übergeben und sie damit, ob des Drucks es nun auch lesen zu müssen, ins Unglück zu stürzen?“. Ungerührt wandte sich die Standkraft von mir ab und machte sich an die Bedienung des nächsten Kunden. So könnte es durchaus gewesen sein. (ts)