Ein Hoch auf die Analogisierung

Ab und zu sollte man seine Festung der Einsamkeit verlassen. Es kann interessant sein da draussen! Hält man es aus, angeschaut und gemustert zu werden? Ertrage ich den Menschen, der einen Meter neben mir raucht? Beachte ich die Bettler die mir die Hand entgegenstrecken und mich daran erinnern, dass ich nur ein kleines selbstsüchtiges Wesen bin? Hinaus ans Licht nachdem die Videokonferenzen beendet sind! Die Aufgaben im Haushalt wurden wie so oft ignoriert. Die üblichen Pakete sind für mich und die Nachbarn entgegengenommen. Mehr als ein flüchtiges Danke hatte ich für die Boten nicht übrig. Beim Schuhe anziehen komme ich langsam zu Besinnung. Den Mantel übergeworfen und die Treppen hinuntergesaust. Beim Aufenthalt im Freien, sollte vom Einsatz von Schutzmaßnahmen wie „sich im eigenen Auto verbarrikadieren“, „unter Kopfhörern verschwinden“ oder „auf das unersetzliche Mobile starren“ verzichtet werden. Die volle Bandbreite der Außenwelt ist nötig um mir klar zu machen wie unwichtig ich bin. Verschwände ich mit einem Fingerschnippen, Q, eine unterhaltsame Figur aus dem Star Trek Universum könnte dies veranlassen, niemandem außer einer handvoll Menschen fiele dies auf. Ein weiteres Zwinkern und die gesamte Erde wäre futsch. Mars und Venus würden ihre Bahnen ein wenig anpassen, aber das wäre es dann auch schon. Kein weiterer Kommentar der Galaxie. Und doch agiere ich manchmal so, als wäre ich unverzichtbar. Möchte ernst genommen, respektiert und gelobt werden. Autor: „Siri! Den letzten Satz bitte löschen!“ „Pieps!“ Sitze ich mit meinen Zeitgenossen in der U-Bahn, wird schnell klar, wir alle wuseln nur sinnlos herum. Dabei funktionieren wir ja nur ein paar lächerliche Jährchen. Sind umgeben von einer majestätischen Ewigkeit. Also auf in die Uckermark zum Panzerbiathlon! Ein adäquater Einsatzzweck für diese Ungetüme. Vermutlich gibt es das schon lange nicht mehr, doch die Russen, oder auch „Die Freunde“ wie sie in der DDR noch hießen, boten diesen Freizeitspaß einst an. Wehmut verschafft sich Raum, hätte ich doch gern ein paar Runden mit einem T34 gedreht und auf Attrappen geschossen. Ein geräuschvolles Verfolgerrennen mit den besten Freunden. Offenbar schlummert in mir doch eine militaristische Schattierung. Natürlich fällt mir hierzu auch eine kleine Anekdote ein. Anfang der Achtziger, ich fuhr mit meiner Straßenbahn – wer die Dinger anders nennt, bekommt von mir den Bösen Blick – ich fuhr also mit meiner Straßenbahn vor mich hin, als plötzlich ein Kollege die Leitstelle per Funk informierte, er hätte ein Russenschwein totgefahren. In der Kommandozentrale fallen alle Offiziellen beim Empfang dieser Nachricht vom Stuhl. Die NVA wird in Alarmbereitschaft versetzt. Der Flugzeugträger Sigmund Jähn lichtet die Anker. Es stellte sich aber heraus, es ging lediglich um das Nutztier – welch furchtbarer Begriff – das aus einer Kaserne ausgebüxt sein musste. Ich erinnere mich auch noch sehr gut an eine Klassenfahrt, bei der wir ein gutes Stück der Zugreise mit einer Kompanie Sowjetsoldaten zurücklegten. Freundlich teilten sie ihre Marschverpflegung mit uns. Unvermeidlich der gemeinsame Gesang. Da auch wir Schüler alle irgendwie russisch konnten, erfüllte der Klang eines gemischten Kinder-Soldaten-Chors den Wagen. Führe ein solcher Wagon heute durch Brandenburg, bräche vermutlich Panik aus. Ich fand die Uniformen damals ein bisschen einschüchternd. Heute ängstige ich mich vor der Macht der Abgeordneten des Unheils, die uns mit per Datenkabel bestelltem Schnickschnack versorgen. Den stellen wir dann irgendwo hin. Aber aber, ruft Otto-Normalverbraucher, wir gehen doch demonstrieren um alles ins Gute zu wenden! Ich bewundere die Menschen, die es schaffen, auf Kundgebungen den plakativen Äußerungen Fremder Aufmerksamkeit zu schenken und vielleicht sogar zu beklatschen. Zu meiner Schande muss ich ja gestehen, dass mir das Zuhören manchmal selbst bei mir nahe stehenden Personen nicht gelingt. Die Ansicht meines Gegenübers gar zu teilen erfordert eine noch größere Kraftanstrengung. Vermutlich eine Psychose, die mir die FDJ eingebrockt hat. Abgesehen davon fordere ich jetzt hier einfach mal die Re-Analogisierung der zwischenmenschlichen Beziehungen sowie sämtlicher Tonkonserven. Wie in grauer Vorzeit werde ich von nun an unangekündigt bei Freunden und Bekannten an der Pforte klingeln, eine Schallplatte in der Hand, die es gemeinsam zu hören gilt. Die Besuchten gehen erschrocken an die Tür. „Wer läutet denn da? Habe doch gar nichts bestellt!“ denken sie. Einen Schallplattenspieler haben sie natürlich auch nicht. Dies antizipierend führe ich stets einen mit mir. Eigentlich wollte ich noch etwas über die gute alte Gepäckaufbewahrung schreiben. Sowas gab es wirklich! Vielleicht beim nächsten Mal. Ich bringe das Thema vorerst zur Ideenaufbewahrung. Hier unten im Haus hat gerade eine findige Person ein knuffiges kleines Geschäft gleichen Namens eröffnet. (ts)