Wolf-Lundmark-Melotte

Unerbittlich bewegt sich das Universum auf dem von uns erdachten Zeitstrahl voran. Guckt nicht links noch rechts. Kennt nur eine Richtung. Ich schaue vom Balkon in den Himmel, erwarte die Gewitterwolken. In einer Stunde sollen sie hier sein. Von mir aus könnte es permanent gewittern. Bis zum Eintreffen des Donnerwetters ordne ich im Kopf die nächste Woche. In derselben Zeit ist die Große Magellansche Wolke, eine unserer Nachbargalaxien, wieder ein Stück näher gekommen. Schon bald, in ein paar Milliarden Jahren, wird sie in unsere Heimatgalaxie rauschen. Die Milchstraße. Wer ist auf diesen Namen gekommen? Ich finde ihn ehrlich gesagt einigermaßen enttäuschend. Ein bisschen anmutiger dürfte es schon sein. Sie muss ja nicht gleich klingen wie die Gewinnerin des Galaxy-Naming-Awards – Wolf-Lundmark-Melotte. Schaut, sie liegt drei Millionen Lichtjahre in diese Richtung da hinten! Ein sehr gut vorstellbarer Zeitraum. Da der Sekundenzeiger erfahrungsgemäß schneller läuft, sollte man einen glücklichen Moment erleben, muss lediglich für dessen Andauern gesorgt werden. Im Handumdrehen würden die Äonen verstreichen. Aber jetzt dreht sich erstmal das Vinyl, erzeugt Neunziger-Jahre-Stimmung. Auf dem Weg in die Küche werden die Love Parade Moves reaktiviert. Vorrausschauend wurde ein Stück Pflaumenstreusel genau für diesen Moment erworben. Kuchen kauend überlege ich weiter. Immer wieder ist zu hören, diese riesigen Zeiträume und Entfernungen im Weltall könne man sich nicht vorstellen. Andromeda ist zwei Millionen Lichtjahre entfernt. Warum ist es problematisch sich dies vor Augen zu führen? Archäologen schätzen das Alter des ausgegrabenen Skeletts von Lucy auf drei Millionen Jahre. Unsere Urahnin aus Afrika. Nur noch schnell das Feuer beherrschen, Werkzeuge erschaffen, Dampflok aufgleisen, Telefon in Betrieb nehmen und schon ist das Licht der schönen Andromeda bei uns und ich stehe im Bad, räume die elektrische Maschine aus, die den Gang zum kalten Dorfbach dankenswerterweise unnötig macht. Eine recht erbauliche Hausarbeit, das Wäsche aufhängen. Frischer Duft erfüllt danach die Gemächer. Zufrieden lege ich mich auf’s Sofa und warte auf die Magellanschen Wolken. (ts)