Wenig durchdacht

So wie einige ein Gedächtnis für Zahlen, Gesichter oder Namen haben, habe ich eins für E-Mail Adressen. Selbst auf Partys kann man mir diese quer durch den Raum zurufen. Beim Katerfrühstück erweitere ich die entsprechenden Kontakte ohne Mühe. Leider eine recht überflüssige Superheldenfähigkeit. Ein Auftritt bei Wetten Das?! ist unwahrscheinlich. Viel häufiger jedoch, lässt mich mein Gedächtnis im Stich. Wie hieß noch das Restaurant in dem mir vom Koch ein Filetstück verweigert wurde? Ja, ab und an gebe ich der absurden Sucht auf tierische Produkte ein bisschen Spielraum. Doch meiner Bestellung ein für jedermann plausibles „Durchgebraten, bitte.“ hinzuzufügen? Ketzerei! Ein Steak muss halb roh serviert werden. Oder jener Ober beim Italiener, der es ablehnte einen Cappuccino vor dem Essen zu kredenzen. Er machte ein Gesicht, als hätte ich ihn um die Telefonnummer seiner Frau gebeten. Ich stelle überrascht fest, ich kann mir auch Gesichter merken. Kommen wir zu einem anderen Sachverhalt. Es gibt keinen Winter mehr. Nur Sommer und Herbst haben überlebt. Ja, Sie kombinieren richtig, auch der Frühling wurde abgeschafft. Der Kopf ist aber träge und so dauert es eine Weile, bis die Menschen ihren Kleidungsstil an die neuerdings vorherrschenden Außentemperaturen anpassen. Eigentlich steckt in den Windungen noch die Information: im April ist es kalt. Also gleitet man in die Wintergarnitur, die praktischerweise noch an der Garderobe hängt, und bereut es in dem Moment, in dem man auf die Straße tritt. Mir erging es mal recht ähnlich. Im Wonnemonat mit Tochter im Buggy wurde ich von einer Person, die sich als Kinderärztin entpuppte, darauf aufmerksam gemacht, dass das Kind zu warm angezogen sei und drohe zu kollabieren. Mein später Dank gilt der Retterin. Damals brabbelte ich nur etwas in mich hinein und zog dem Kind den Skianzug aus. Appropos abrupte Themenwechsel. In Texten funktioniert das leidlich. Geschieht dies in einer Nachrichtensendung zucke ich immer, wirklich immer, zusammen. Die Sprecherin musste Fürchterliches berichten, doch auf der Agenda steht nun: „Überleitung zur Live-Fußballübertragung“. Das Antlitz der Moderatorin, eben noch durch Mitgefühl geformt, muss nun lächeln und dem Zuschauer viel Spaß bei der zweiten Halbzeit wünschen. Das geht niemals gut. Fröhliches kurz nach Herzzerreißendem funktioniert einfach nicht. Lösung: Direkte Überleitung zum Wetter. Dann können sich die Leute schonmal adäquate Sachen für den nächsten Tag rauslegen. (ts)