Die treulose Tomate

Liebe Leserin, lieber Leser. Solltet ihr einen Abonnenten für diesen Blog gewinnen, bekommt ihr zwei Treuepunkte. Habt ihr 100 Treupunkte gesammelt, winkt ein Abendessen mit wahlweise (aw) oder (ts). Vielleicht winkt es aber auch nicht, sondern streckt euch die Zunge raus! Ich habe in einem älteren Text meine Ablehnung gegenüber Belohnungssystemen schon zum Ausdruck gebracht. Heute beim Einkauf wurde ich abermals in unerträglichem Maße mit dieser Thematik konfrontiert. Am Eingang der Kaufhalle ein mobiler Espressostand mit Kundenkartenangebot. Pfeifend glitt ich vorbei – die ausgestreckte Hand der Standdame ignorierend. Sie folgte mir für ein paar Meter, es gelang aber sie bei den Einkaufswagen abzuschütteln. Hinter den Kartoffeln befand sich zu allem Überdruss auch noch eine Abofalle für die Berliner Tageszeitung mit Zielgruppe konservativer Bevölkerungsanteil. Ich bin das leid und finde es außerdem zutiefst unethisch. Kauft bei uns, bleibt uns treu! Lest dies, lest das! Warum sollte ich einem Ladengeschäft die Treue schwören wollen? Für ein paar Glasperlen? Ich frage mich ja manchmal, was bei mir schiefgelaufen ist, das dazu geführt hat, dass ich gegen solche Offerten immun bin. Gedanklich liege ich eher am anderen Ufer. Ein Aufsteller mit der Aufschrift „Kauft eins, bezahlt zwei!“ würde mein Interesse wecken. Fällt mir an der Kasse ein Fünfcentstück herunter, lasse ich es liegen. Das Risiko mich beim Niederknien zu verletzen halte ich für zu hoch. Natürlich heben dann hilfsbereite Bürger das Fünfcentstück auf und überreichen es mir mit dem Habitus eines Archäologen, der die Bundeslade ausfindig gemacht hat. Mein für sie enttäuschend zurückhaltendes Danke sorgt dann für Traurigkeit beim Münzaufheber. Die armen Kassiererinnen werden vom Management gezwungen, alle Kassenpassanten zu fragen, ob sie eine Payback-Karte besitzen. Payback klingt für meine Ohren eher nach heimzahlen! Bei allen auch noch so unsinnigen Anlässen gibt es Sammelkärtchen. Das bewegt sich in seiner Gesamtheit IMHO in die falsche Richtung. Ich wünsche mir, dass die Kassiererinnen dazu angehalten werden, einen kleinen Plausch mit den Kunden zu beginnen. So wie es selten genug tatsächlich geschieht. Das Geschick den richtigen Ton zu treffen und Menschen und deren seelische Verfassung einzuschätzen, sollte Teil der Ausbildung sein. Mein allererster Job in Westberlin war beim Euromarkt Regale einzuräumen und an der Kasse zu sitzen wenn Not am Mann war. Wie einfach es ist einem Kunden ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Ein simples „Lecker!“ beim Einscannen von Schokoladenpudding genügte. Schon entstand eine von gewohnter Reserviertheit befreite Atmosphäre, die eigentlich danach schrie gemeinsam ein bisschen durch den Laden zu tanzen. Also genau das Ambiente, das uns die Reklame bei ihren Rabattaktionen vorgaukelt es würde existieren. In die Kamera strahlende Hochglanzmenschen die überglücklich sind einen Gutschein in ihren Händen zu halten. Doch die Stimmung im Supermarkt ähnelt dann doch eher meistens dem trostlosen Anblick von Cheeseburgern der nordamerikanischen Fastfoodketten. Oder, und der Vergleich ist möglicherweise noch besser, der Atmosphäre italienischer Restaurants, die italienische Musik der Achtziger in Dauerschleife spielen. (ts)