Bericht aus Bonn

Der kleine Koffer ist gepackt. Arbeitsnotebook und Ladekabel sind verstaut. Auf nach Bonn. Noch nie dagewesen. Doch erstmal mit der Party-Straßenbahn zum Hauptbahnhof. Ihren Namen verdankt sie ihrer Route. Von Prenzlauer Berg via Friedrichshain nach Kreuzberg. Sollte also jemand auf der Suche nach einer hippen Lokation für ein Stelldichein am Sonnabendabend sein, einfach mit der M10 ein paar Runden drehen. Ich jedoch bin mittags unterwegs. Die Elektrische ist voll mit Leuten, die in Richtung Fernzug streben. So wie ich. An meinem Zwischenziel angekommen, versorge ich mich mit Latte Macchiato für gleich und Käseficelle für später. Es ist noch etwas Zeit. Ich schlendere an den in Bahnhöfen üblichen Geschäften vorbei und studiere desinteressiert die Auslagen. Am Saftstand trinke ich noch schnell einen frischgepressten Orangen-Möhrensaft. Kraftspendend durchfließen mich Zucker und Vitamine. Ab in den Keller. Gleis sieben. Mit schlechtem Gewissen werfe ich den leeren Plastikbecher in den Müll. Ich bin Teil des globalen Abfallproblems. Der Zug fährt ein. Sinke in meinen Sitz am Fenster. Die Fahrt gestaltet sich, frei von ungeplanten Zwischenfällen, ereignislos. Der größte Aufreger ist eine Flasche, die widerspenstig durch den Wagen kullert. Das Wort „ereignislos“ ist in meinem Gehirn übrigens fest verdrahtet mit der für mich legendären Aussage eines Flugkapitäns. Das kam folgendermaßen zu Stande. Es gab mal ein stürmisches Wochenende in Hamburg und im Internet kursierten Clips von angsteinflößenden Manövern der Flugzeuge. Ein Landeversuch hätte beinahe zu einem Unglück geführt. Kurz vor dem Aufsetzen erwischte den Airbus eine starke Böe. Ein Flügel touchierte die Landebahn. Man hörte das Aufheulen der Turbinen. Durchstarten. Der Flugkapitän bestätigte später im Interview die brenzlige Situation. Befragt zur Landung Teil zwei, gab er an, die sei ereignislos verlaufen. Diese Wortwahl hat sich in meinem Kopf festgesetzt. So richtig kann ich das nämlich nicht glauben. Sicher saßen Pilot und Copilot angespannt im Cockpit, die Hände zitternd an der Triebwerksteuerung, nervöse Blicke tauschend. Alle Passagiere erhalten von den Flugbegleitern noch schnell ein vorausgefülltes Testament. Nach gelungenem Touchdown bricht unter den durch die Lüfte Eilenden Jubel aus. Vor Sekunden sahen sie sich noch dem Tode geweiht. Die Vokabel „ereignislos“ wirkt da seltsam deplaziert. Zurück zu meinem ICE. Der traf pünktlich ein, am vorgesehenen Ort. Taxi zum Hotel. Ich steuere ungern via Online-Maps durch mir unbekannte Städte. Die Lobby. Stets das gleiche Bild. Ein paar unbelegte Sitzgruppen, Vitrinen mit zu Recht unbeachtetem Inhalt. Freundlich lächelnde Hotelangestellte. Einchecken an der Rezeption. Das Hotelzimmer bietet keine Überraschungen. Offenbar steige ich stets in Pensionen gleicher Güte ab. Ein Bett, ein Fernseher, ein Bad und ein kleines Stück Willkommensschokolade auf dem Kopfkissen. Was tut man mit dem Rest des Abends? Die Meetings sind erst am nächsten Morgen. Mal schauen, welcher Schalter für welche Lampe zuständig ist. Ich lasse mich auf’s Bett fallen und eine Badewanne einlaufen. Im Fernsehen kommt nichts. Also zappe ich frustriert durch die Kanäle. Zum Abendessen wird ein Burger im kaum gefüllten Hotelrestaurant verschlungen. Halb elf lösche ich das Licht. Der nächste Tag beginnt mit einer Katastrophe. Nach dem Toilettengang bricht mir bei der Inbetriebnahme der Klobürste selbige entzwei. Ich stehe vor einem Dilemma. Einfach alles der Putzfrau überlassen oder selbst Hand anlegen? Ich entscheide mich für Letzteres, fische die Klobürste aus der Kloschüssel und dusche ein bisschen länger. Danach auf zur morgendlichen Aufnahme von Nährstoffen. Ich liebe Frühstück in Hotels. Kaffee wird an den Tisch gebracht. Frische Brötchen mit Marmelade. Nur die Butter ist irgendwie nicht zu finden. Ich frage das Personal. Es zeigt auf eine merkwürdig aussehende Konstrukton in zehn Metern Entfernung. Unser Butterautomat. Auf der Wanderung in Richtung Rahmmaschine versuche ich die Situation zu erfassen. Ein Butterautomat? Angekommen drücke ich den einzigen erkennbaren Knopf. Es rattert und ein Butterpuck fällt in die Auslage. Ach so, ich hätte meinen Teller drunter stellen müssen. Nochmal von vorn. Nach zwei Kännchen Bohnenkaffee und den sich auf dem Zimmer anschließenden, obligatorischen hygienischen Maßnahmen, geht es los. Auf zum Meetingmarathon. Hinein in die Welt, die nur mit Accesscards und Token betreten werden kann. Mehr oder weniger fremden, aber sehr höflichen Menschen werden die Hände geschüttelt. Wir sind nun alle für ein paar Stunden in der Gewalt von Konzernrichtlinien. Kaffee, Kekse, Diskussionen. Zum Mittag gibt es belegte Brötchen und Smalltalk. Das muss man mögen. Keine große Hürde für mich. Weiter mit Tee, Gummibärchen und Feedbackrunden. Offizielle Verabschiedung. Taxi zum Bahnhof. Die Droschkenlenker in Bonn fahren genauso irre wie ihre Kollegen in Berlin. Mir wird wie immer ein bisschen schlecht vom ständigen Anfahren und Bremsen. Offenbar kennen die Chauffeure nur diese beiden Modi. Gleichmäßiges Tempo scheint verpönt. An der Zentralstation heißt es Zeit totschlagen an Gleis sechs. Der ICE wird für zwanzig Minuten später als angeschlagen avisiert. Einstmals Gelegenheit für eine Zigarette. Heute studiere ich Werbeplakate und rolle mit den Augen. Während der Fahrt ärgere ich mich über Fahrgäste, die sich wegen der Unzuverlässigkeit der Bahn beschweren. Wohlfeil und langweilig. Die bemüht lustigen Lautsprecherdurchsagen der Bahnbediensteten sind nur selten komisch. Ein bisschen wie unpassende Witze, die von Urlaubsbekanntschaften erzählt werden. Man lächelt gequält. Mit einer Stunde Verspätung komme ich in Berlin an. Von Bonn gesehen habe ich glücklicherweise nichts. Der Segen des Alleinreisens. Zu Hause lasse ich mir natürlich erstmal ein Bad ein und lese, bis ein akzeptabler Füllstand erreicht ist, unwichtige Emails. Nach einem erholsamen Kurzausflug in die Wanne ist es zehn. Ich kippe ins Bett. (ts)