Was sonst noch passierte (1)

Ich muss ungefähr siebzehn gewesen sein, als sich meine Abneigung gegen Aktivitäten in der Natur manifestierte. Zu dem Zeitpunkt besuchte ich eine Berufsschule. Ich war recht gut befreundet mit Simon, der meine Leidenschaft für’s Schlagzeug spielen teilte. Wir hatten sogar einen gemeinsamen Auftritt in einer sogenannten „Frühlingspalette“, die von der FDJ-Leitung der Berufsschule organisiert worden war. Die meisten Aufführungen waren wenig freiwillig. Ein Chor der Jungpioniere. Eine Agitationsrede. Hatte ich erwähnt, dass ich in der achten Klasse zum Agitator gewählt worden bin? Was war die Aufgabe eines Agitators? Er sollte die Linie der Partei in Diskussionen vertreten. Ich habe keine Ahnung, ob ich diese Rolle jemals ausgefüllt habe. Nur der Umstand, dass sie mir zugeteilt war, ist mir noch parat. Heutzutage kaum noch vorstellbar. Zurück zur Frühlingspalette. Simon und ich saßen an unseren Drumsets auf der Bühne und trommelten uns rhythmische Figuren zu. Wir Akteure waren vermutlich die Einzigen, die das toll fanden. Ich weiß gar nicht mehr, ob es überhaupt Applaus gab. Simon war außerdem ein Outdoor-Typ. Etwas, dass ich nie so richtig verstanden habe. Jahrtausende der Entwicklung waren nötig um endlich nicht mehr in nassem Moos übernachten zu müssen. Jedenfalls fragte er mich eines Tages, ob wir nicht mal ein Wochenende zelten fahren wollten. Meine Einwände über mangelnde Ausrüstung konnte er sämtlich entkräften und so fuhren wir eines Sonnabend Morgens mit einem Tandem, Zelt und Rucksäcken bepackt von dannen. Kaum hatten wir die Stadt verlassen brach mir das rechte Pedal ab. Simon hatte die abenteuerliche Ansicht, das könne an der nächsten Tankstelle problemlos wieder angeschweißt werden. Kein Grund zur Panik. Also strampelten wir abwechselnd für mindestens zehn Kilometer bis wir endlich eine Autowerkstatt erreichten. Die Annahme war, dort könnte der Job auch erledigt werden. Einer der Angestellten wurde also gebeten das Pedal wieder anzuschweißen. Überraschenderweise kam man unserer Bitte nach. Fahrrad wieder heil, weiter Richtung Natur! Nun muss die Reparatur dem Tretlager aber sämtliche Flüßigkeit entzogen haben, denn Meter um Meter wurde es schwerer das Pedal kreisen zu lassen. Glücklicherweise, kam ein malerischer See in Sicht. Wir beschlossen, diesen als Ziel zu akzeptieren. Es war mittlerweile auch später Nachmittag. Das Zelt wurde aufgebaut, ein Lagerfeuer angezündet. Ergiebiger Regen setzte ein. Da saßen wir nun also in unserem fast wasserdichten Zelt und genossen die Freiheit. Kalte Würstchen und warmes Bier in den Händen. Ich weiß gar nicht ob ich überhaupt eine Auge zugemacht habe in dieser Nacht. Irgendwann wurde es hell und Simon willigte zu meiner Verwunderung ein, den Rückweg anzutreten. Da sich die Pedale nun überhaupt nicht mehr bewegen ließen, mussten wir schieben. Bis zum nächsten Bahnhof. Ausgehungert und unterkühlt kam ich am Abend zu Hause an und schwor, nie mehr zu Zelten oder einen Urlaub ohne Zimmerservice zu buchen. Sehe ich, dass der Sieger irgendeines Gewinnspiels ein Wohnmobil gewonnen hat, denke ich, diesen armen Menschen, nun müssen sie in die Wildnis. Müssen mit Macheten bewaffnet einen Weg durch den Urwald bahnen. Das ist alles nichts für mich. Wir können gerne einen Waldspaziergang machen, oder durch die Lüneburger Heide radeln. Abends möchte ich aber bitte ein heißes Bad, ein ordentliches Mahl und zur Nacht in ein kuscheliges Bett sinken. (ts)