Wohlwollen

Warum ist mir etwas sympathisch? Über diese Frage habe ich schon oft nachgedacht. Erst heute morgen wieder, als ich Milch in meinen herrlich duftenden Kaffee goss. Der Duden meint: „aufgrund gewisser Übereinstimmung, Affinität positive gefühlsmäßige Einstellung zu jemandem, einer Sache“. Ganz so einfach möchte ich es mir nicht machen. Klar sind die Dinge, die nicht helfen. Die Einschätzungen von Entitäten etwa, die man liebt. Konkret, es genügt nicht, dass die Freundin eine Person sympathisch findet. Gefühle sind nicht übertragbar. Ich kann mir auch nur sehr schwer ein sympathisches Mitglied einer bestimmten Partei vorstellen. So geht es den meisten nehme ich an, auch wenn die verwendeten Buchstaben in den gemeinten Parteinamen variieren werden. Dasselbe gilt für Künstler oder auch Prominente im Allgemeinen. Eine sympathische Influencerin? Existenz unwahrscheinlich. Ein symphatischer Mittfünfziger aus deutschem Adelshaus? Schwer vorstellbar. Wer genießt meine Sympathie? Sicher nicht die Nachrichtensprecherin, die verächtlich von der „sogenannten“ Letzten Generation spricht. Das hätte man in den ersten Aktionswochen tun können. Jetzt ist es einfach nur häßlich. Auch nicht der Autofahrer, der halb auf dem Gehweg parkt und darauf angesprochen mit Beleidigungen reagiert. Ich hätte ein „Ok, sorry. Geht grade nicht anders.“ ja akzeptiert. Natürlich gibt es auch sympathische Autofahrer und unsympathische Klimaaktivisten. So wie diesen älteren Herrn, der wegen blockierter Straße im Stau stand und ein Interview hinterm Lenkrad gab. Er sei zu faul selbst etwas zu unternehmen, freue sich aber, dass die jungen Leute das für ihn tun. Vorsicht, kleiner Gedankenschlenker! Neulich musste ich eine sehr unangemehme Situation im Park durchleben. Ich lief locker meine Runden. Ein Skateboarder kam mir entgegen. Der Weg war eng, aber die Passage reichte knapp für uns beide. Beim Vorbeifahren schlug mir der Mensch mit der Hand gegen die Hüfte und brüllte: „Mach doch Platz ey!“ Ich vermute, das ist das Default Mindset dieses Unholds. Irre unsympathisch. Meine Sympathie haben Veganer, die mich nicht anmaulen, wenn ich ein Salamibrot esse. Klangschaffende, die durch die Beschaffenheit ihres Outputs zu erkennen geben, dass Geldverdienen keine primäre Motivation ist. Generell Menschen, die die Kraft aufbringen über sich selbst zu lachen. Ich bezweifele, dass mir das häufig gelingt. Im privaten Umfeld wird die Sache mit der Sympathie noch ein bisschen komplexer. Die neue Flamme der Ex-Freundin hat es schwer, na klar. Die Bekannte, die bei einer Gelegenheit mal Dummes sagte, auch. Ihnen allen ist es verwehrt Level zwei zu erreichen. Sie bleiben stecken im Sumpf meiner Vorbehalte. Doch auch auf Level zwei lauern noch Untiefen. Werden von Aspiranten gedankliche No-Go Areas betreten, gewinnt das Misstrauen an Wucht. Der unlängst gehörte Satz: „Die Obdachlosen wollen doch so leben.“ lässt die Augenbrauen Richtung Wolken streben. Ich schaue genauer hin und entdecke weitere vermeintliche Unvollkommenheiten. Es dauert ziemlich lang bis wir uns in Gegenwart von Menschen wohl fühlen, die erst vor Kurzem in unser Leben traten. Erreichen sie Level drei, dürfen sie wieder Dummes sagen. Ein zutiefst beruhigendes Level, denn, äußern wir nicht alle ab und zu Zweifelhaftes? Und dann gibt es auch noch Aufeinandertreffen, bei denen sofort Sympathie die Bühne betritt. Dies beruht interessanterweise oft auf Gegenseitigkeit. Vermutlich kennt man sich aus einem Paralleluniversum. Eine andere plausible Erklärung habe ich nicht. Wir sollten die Verbindung, die man aus unerfindlichen Gründen zu Fremden hat, als Beweis dafür werten, dass es diese Universen gibt. Wer weiß, vielleicht ist sogar eins in der Nähe, in dem ich dem Adelsstand angehöre und mich hauptberuflich als Influencerin betätige. (ts)