Dinge, die man in Ulan Bator erledigen kann

Charlie hatte Lohengrin schon eine Weile beim Aneinandervorbeigehen im Haus angeblinzelt. Lohengrin war aber immer nicht aufmerksam genug gewesen, das auch zu bemerken. Die letzten Male allerdings hatte er zurückgelächelt. Dann standen sie sogar einmal gemeinsam im Fahrstuhl. „Hi.“, hatte er schmunzelnd gesagt. Sie ebenso geantwortet. Zur Überraschung beider mussten sie auf der selben Etage raus und konnten sich ein Feixen nicht verkneifen. „Tschüß“ hatten sie sich noch zugerufen bevor sie in verschiedene Richtungen verschwanden. Bei den nächsten Gelegenheiten war man auch mal ins Gespräch gekommen. Über dies und das. Das Wetter, den Verkehr, die Garderobe der Bürgermeisterin. Eines Tages hatte Charlie dann den Mut Lohengrin zu fragen, ob er denn Lust habe mal zum Abendessen zu kommen. Es wäre auch noch eine Freundin da. Kein Grund zur Sorge also, hatte sie verschmitzt erläutert. Lohengrin sagte zu und nun stand er in Charlies Küche und hielt ein Glas Wein in der Hand. Es klingelte. Charlie ging zur Tür und ließ Annegret hinein. Die beiden Frauen umarmten sich und kamen auf Lohengrin zu. Das ist Annegret, sagte Charlie. Ich bin Lohengrin, entgegnete Lohengrin. Sie gaben sich die Hand. Charlie schenkte Annegret auch ein Glas Wein ein und hielt ihr eigenes zum Anstoßen hoch. Schön das ihr da seid, sagte sie fröhlich. Alle tranken einen Schluck vom Primitivo. „Also…“ begann Lohengrin. „Was gibt’s denn Leckeres?“ fragte er, während er sich suchend nach Hinweisen in der Küche umsah, die seine Frage hätten beantworten können. „Das würde mich auch interessieren.“ fügte Annegret keck hinzu. Charlie meinte: „Das werdet ihr schon sehen.“ und sie begann Sellerie, Olivenöl, Pfeffer und Salz auf den Küchentisch zu befördern. Dazu legte sie ein frisches Ciabatta, das noch in der Papiertüte steckte. „Kochst Du sechs Eier Annegret? Hart gekocht bitte!“, fragte Charlie rethorisch und drückte ihr eine Sechserpackung in die Hand. „Und Du kannst schonmal das Ciabatta schneiden Lohengrin“, verteilte Charlie die Aufgaben und machte sich selbst daran den Sellerie zu putzen und in kleine rechteckige Quader zu schneiden, die auch als Fundament für eine Pyramide im Verhältnis 2000:1 hätten dienen können. Nichts macht mehr Spaß, als eine freundliche Unterhaltung zu führen, während alle Beteiligten mit kleinen Aufgaben beschäftigt sind, die den Denkapparat nicht sonderlich strapazieren. „Du sag mal Lohengrin, wie kommst Du denn zu deinem Namen?“ hob Annegret an. „Sind Deine Eltern Opernsänger? Oder wurdest Du von einem Schwan zu Deinen Eltern gebracht?“, fragte sie leise kichernd. Im Hinterkopf hatte sie die literarische Figur, den Gralsritter Lohengrin, der als Beschützer der Herzogin von Brabant gesandt worden war. „Nein, nichts dergleichen.“ antwortete Lohengrin nachsichtig. „Der Abend an dem ich geboren wurde, hatte eine ungewöhnlich lange Dämmerung und so dachten meine Eltern, mein Name müsse etwas Mystisches haben.“ „Wie schön!“ lächelte Charlie. „Eine wirklich nette Geschichte.“ Mittlerweile saßen die drei am großen Küchentisch, pieksten mit der Gabel in den Selleriesalat mit Ei und ließen das Sprechholz kreisen. Annegret verriet, dass sie Musikerin, genauer Violinistin, war. Das passte irgendwie zu ihr, dachte Lohengrin. Charlie schaute aus dem Fenster und meinte: „Heute dauert die Dämmerung aber auch ziemlich lang, Lohengrin!“ Allgemeine heitere Zustimmung. Wein wurde nachgeschenkt, eine neue Flasche geöffnet. Auf die Frage, was sie denn so mache, hatte Charlie geantwortet, momentan nichts Besonderes. Lohengrin rettete die Situation, in dem er berichtete, er stelle gerade eine Liste der Dinge zusammen, die man in Ulan Bator erledigen könnte. Nicht, dass er vorhätte dorthin zu reisen, nein, er wolle nur vorbereitet sein, falls es ihn mal dorthin verschlagen würde. Charlie und Annegret nickten amüsiert. So ging es noch eine ganze Weile hin und her. Es wurde viel durcheinandergeredet und noch mehr herzlich gelacht. Ein kleines bisschen beschwipst verabschiedeten sich alle gegen Ein Uhr voneinander und betonten, dass man das unbedingt wiederholen müsse. Die Wohnungstür fiel ins Schloss. Charlie ging lächelnd in die Küche und nahm sich ein allerletztes Gläschen Wein. Aufräumen konnte man den ganzen Schlamassel auch morgen, dachte sie bei sich. Sie setzte sich in ihre Fensterbank und träumte noch ein bisschen zufrieden in die Nacht. (ts)